Das EuGH-Urteil zur Regulierung der Kundenanlage vom November 2024 hat in der Branche für erhebliche Verunsicherung gesorgt. Viele Akteure fragen sich zu Recht, was diese Entwicklungen für die Zukunft der dezentralen Energieversorgung in Deutschland bedeuten. Wir geben Ihnen einen Überblick über die aktuelle Situation, ordnen die Urteile ein und geben Hinweise für die Praxis.
Hinweis: Dieser Artikel dient lediglich der allgemeinen Information und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung.
Die juristischen Weichenstellungen: EuGH und BGH im Überblick
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 28. November 2024 eine weitreichende Entscheidung getroffen: Er urteilte, dass die Betreiberpflichten für regulierte Verteilernetze nach der Stromrichtlinie möglicherweise auch für Kundenanlagen im Sinne des § 3 Nr. 24a EnWG gelten könnten. Dies birgt für Betreiber von Kundenanlagen das nicht unerhebliche Risiko, zum Verteilnetzbetreiber zu werden.
Im Anschluss an dieses Urteil setzte der Bundesgerichtshof (BGH) am 13. Mai 2025 die Entscheidung des EuGH in einem spezifischen Sachverhalt um. Als Resultat wurde im verhandelten Sachverhalt eine Kundenanlage zum Verteilnetz. Das BGH gab jedoch den Hinweis, dass die Kundenanlage im EnWG auch EU-richtlinienkonform ausgelegt werden könne. Diese Nuance lässt Raum für Interpretationen und möglicherweise zukünftige Anpassungen.
Am 3. Juli 2025 wurde schließlich die Urteilsbegründung des BGH veröffentlicht, die weitere wichtige Details liefert. In der Randnotiz 29 wird präzisiert, dass die Kundenanlage richtlinienkonform auszulegen ist für „...sämtliche Leitungssysteme, die der Weiterleitung von Elektrizität dienen, die nicht zum Verkauf bestimmt ist.“ Diese Formulierung ist entscheidend für die weitere Auslegung der Kundenanlagenregelung.
Die Entscheidung des BGHs hat eine sogenannte Präjudizwirkung für vergleichbare Sachverhalte. Das bedeutet, dass ein vergleichbarer Sachverhalt von den Gerichten gleich entschieden werden müsste und es daher nicht erstrebenswert ist, ein vergleichbares Projekt umzusetzen, in der Erwartung, nicht Verteilnetzbetreiber zu werden. Es sei darum darauf hingewiesen, dass Gegenstand des ursprünglichen Verfahrens mehrere Wohnblöcke mit über 200 Wohnungen waren, die durch ein Blockheizkraftwerk (BHKW) mit Strom und Wärme versorgt werden sollten. Besonders relevant ist hierbei, dass der Betreiber mit dem Verlegen der Leitungsanlagen beauftragt war und die Kosten der Errichtung und des Betriebs über die Grundgebühren der Wärmelieferung abrechnen wollte.
Aktuelle Einschätzungen und Ausblick für die Praxis
Die juristischen Feinheiten werfen weiterhin viele Fragen auf, doch erste Einschätzungen führender Rechtsexperten geben Orientierung:
Es besteht unter befragten Rechtsberatern Einigkeit, dass ein Immobilieneigentümer, der ein Leitungssystem im Gebäude oder eine Gebäudeverteileranlage errichtet, dies zu keinem Zeitpunkt zum Zwecke der Weiterleitung von Strom zum Verkauf tut. Der primäre Zweck einer Hausverteileranlage liegt vielmehr in der Herstellung eines unentgeltlichen und diskriminierungsfreien Zugangs der Immobiliennutzer zum Verteilernetz, wie es § 3 Abs. 24a EnWG vorsieht.
Jedoch ist derzeit noch unklar, ob sich diese ursprüngliche Intention und die damit verbundene Verpflichtung ändern, sobald ein Vermieter – sei es als Einzelperson oder über die Objektgesellschaft selbst – Mieterstrom anbieten möchte. Hier besteht das Risiko, zum Verteilnetzbetreiber zu werden. Es empfiehlt sich, die Umsetzung von Mieterstromprojekten oder On-Site PPAs (Power Purchase Agreements) in einer separaten gewerblichen Servicegesellschaft (einem sogenannten hauseigenen Contractor) aufzubauen oder das gesamte Geschäft einem externen Contractor zu überlassen. Diese Struktur kann dazu beitragen, die rechtlichen Risiken für den Immobilieneigentümer zu minimieren.
Für Contractoren, die Dächer oder PV-Anlagen von Eigentümern oder Wohnungseigentümergemeinschaften (WEGs) pachten, oder den Strom im Lieferkettenmodell abkaufen, gestaltet sich die Situation nach bisherigem Rechtsverständnis anders. Sie nutzen das bestehende Leitungssystem im Gebäude wie jeder andere Stromlieferant und sind anderen Lieferanten gleichgestellt. Der Verkauf des Stroms erfolgt dabei gleichberechtigt am Stromzähler, und die Nutzung der Gebäudeleitungen erfolgt, wie vorgesehen, unentgeltlich und diskriminierungsfrei.
Besondere Aufmerksamkeit erfordern derzeit Quartierslösungen, die sich über mehrere Gebäude hinweg erstrecken. Diese befinden sich aktuell in einem rechtlichen Graubereich. Sowohl das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE) als auch die Bundesnetzagentur (BNetzA) haben diese Problematik erkannt und arbeiten aktiv daran, diesen Bereich zu klären und die notwendigen rechtlichen Anpassungen vorzunehmen.
Empfehlungen für Ihre Praxis
Angesichts der dynamischen Rechtslage und bis zur weiteren Klärung der Sachverhalte empfehlen wir unseren Kunden und Partnern:- Vermeiden Sie vorerst komplexe Quartierslösungen: Bis zur endgültigen Klärung der rechtlichen Rahmenbedingungen sollten Sie die Umsetzung von Quartierslösungen mit einem zentralen Netzverknüpfungspunkt über mehrere Gebäude hinweg vermeiden.
- Dialog mit Netzbetreibern suchen: Sollten Netzbetreiber Vorbehalte äußern, weisen Sie diese freundlich auf die Präjudizwirkung hin, die sich lediglich auf „vergleichbare Fälle“ beschränkt, sowie auf eine richtlinienkonforme Auslegung nach Randnotiz 29 des BGH-Urteils. Eine Vorlage stellen wir bei Bedarf zur Verfügung. Im Streitfall ist es ratsam, anwaltliche Hilfe mit eben diesem Verweis einzuholen. Bei Neubauten muss mindestens ein Anschluss als Kundenanlage unter Vorbehalt möglich sein. Eine Verweigerung des Netzanschlusses durch den Verteilnetzbetreiber (VNB) ist im Allgemeinen missbräuchlich und kann zu einem Missbrauchsverfahren bei der Bundesnetzagentur (BNetzA) führen.
- Anpassung von Pachtverträgen: Wenn Sie als Eigentümer einen Contractor auf Ihrem Dach haben, sollte im Dachpachtvertrag explizit aufgenommen werden, dass der Eigentümer des Gebäudes während der Vertragslaufzeit Eigentümer der (AC) Leitungsanlage / Leitungsinfrastruktur des Gebäudes bleibt und für deren Wartung unentgeltlich zuständig ist. Dies schafft klare Verhältnisse und minimiert potenzielle Haftungsrisiken.
Wir hoffen, diese Einordnung hilft Ihnen, die aktuelle Situation rund um Kundenanlagen und die Auswirkungen der jüngsten Urteile besser zu verstehen.
Wenn Sie weitere Fragen haben oder Unterstützung bei der Umsetzung Ihres Projekts benötigen, zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren.